Weihnachten auf Indisch vor der Kirche "Kunterbunt"

Weihnachten auf Indisch

Es war am Heilig Abend in Indien. So weit weg von zuhause und den Lieben daheim wird mir immer etwas wehmütig. Darum beschlossen wir, uns beim nächsten Ziel einen Tag Auszeit zu gönnen, Weihnachtstelefonate zu tätigen, Weihnachtslieder zu hören, vielleicht einen schönen Weihnachtsfilm anschauen. Und dann kam alles anders, eben ein “Weihnachten auf Indisch” …

Ein Angebot, dass man einfach nicht ablehnen kann

Am Nachmittag hatten wir die Stadt Surendranagar erreicht. Zugegeben, besonders anheimelnd war es hier nicht. Sehr laut, sehr viel Staub und Müll auf den Straßen. Aber für heute sollte nun Schluss mit Radeln sein. Als Eddy gerade in einem Hotel war, um dort wegen eines guten Zimmers zu verhandeln,  sprach mich auf der Straße ein Herr unseres Alters an. Er hatte mich schon eine ganze Weile beobachtet und war neugierig geworden. Nachdem er wusste, was wir hier wollen, kam prompt das Angebot, wir könnten doch in seinem Haus wohnen. Ich versuchte ihm klarzuachen, dass dies ein ganz tolles Angebot ist, aber heute ein ganz besonderer Tag sei. Zu Weihnachten bräuchten wir viel Zeit, um uns bei der Familie daheim zu melden und außerdem wollten wir morgen einen Ruhetag einlegen. Wir suchten also etwas für zwei Übernachtungen. Kein Problem, meinte er, in seinem Hause hätten wir ein extra Zimmer und so viel Privatsphäre wie wir bräuchten. 

Normalerweise lieben wir solche Begegnungen. Da sein Haus gleich um die Ecke sein sollte einigten wir uns, es anzuschauen und danach zu entscheiden. Jayraj, so hieß der 60jährige Mann schwang sich also auf sein Moped, sein 20jähriger Sohn Raj hinten drauf und wir hinterher mit dem Fahrrad. Sein Haus lag am ruhigen Stadtrand in einem Viertel mit Einfamilienhäusern. Jayraj’s Frau und die Oma wussten wahrscheinlich nichts von dem spontanen Besuch. Wir wurden von ihnen jedoch sehr herzlich empfangen und gleich mit Tee und Keksen versorgt. 

Jayraj ist von Beruf Anwalt und spricht richtig gut Englisch. Eigentlich könnte er schon Rentner sein, aber er arbeitet immer noch als Anwalt auf dem Landesgericht in Ahmedabad. Das Hohe Gericht in Ahmedabad hatte gerade für 14 Tage geschlossen. Wegen Weihnachten. Wir guckten ganz verdattert. Jayraj’s Antwort darauf war nur “Nicht fragen warum, sonst müsste er mit einer Lüge antworten”. 

Abendspaziergang statt Weihnachtslieder

Aus der erhofften weihnachtlichen Freizeit an diesem Heilig Abend wurde natürlich nichts, denn Jayraj hatte gleich einen Vorschlag für uns. Er wollte uns die Sehenswüdigkeit seiner Stadt zeigen, den großen Stausee. Bei der Autofahrt dorthin lud er dazu noch schnell einen guten Freund ein. Bei sponaten Plänen sind die Inder wirklich Weltmeister. Es war ein sehr großer und recht klarer See, der als Trinkwasserreservoir für die Stadt dient. Wir waren überrascht, dass man in diesem See auch schwimmen darf. Jayraj tut dies regelmäßig. Jetzt ist allerdings der Wasserspiegel schon zu niedrig, sodass man für die ersten Schwimmzüge erst weit durchs flache Wasser waten muss.

Zum Glück gibt es die Zeitverschiebung von 4,5 Stunden zwischen Indien und Deutschland, so dass wir trotzdem noch pünktlich vor der Bescherung zu Hause anrufen konnten 🙂

Alternativprogramm zwischen Frühstück und Gänsebraten

Am nächsten Tag hatten wir unsere Weihnachtspläne schon so gut wie abgelegt. Die Nachbarfamilie weihte uns dafür in die Geheimnisse des bevorstehenden Kite-Festivals am 14.Januar ein. Die Kinder, die heute zu Weihnachten schulfrei hatten, trainierten dafür schon emsig auf dem Dach mit ihren Drachen.

Weihnachten fällt doch nicht aus

Abends fuhren Jayraj und Eddy kurz mit dem Motorrad los, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Als sie wiederkamen, da schlug Jayraj vor, ob wir vielleicht bei der beleuchteten Kirche vorbeischauen wollen, die die beiden Männer beim Einkauf entdeckt hatten. Er musste uns quasi dazu drängeln, denn so richtige Lust hatten wir nicht. 

Es war eine kleine Kirche, wunderschön von außen beleuchtet. Als wir ankamen, schien der Gottesdienst gerade zu Ende zu sein. Die Massen strömten nach draußen in den Garten und umringten einen gewissen Herrn mit rotem Mantel. Ja, Santa Claus war vor Ort und heiß begehrt besonders bei den Kleinen. Die stolzen Eltern bekamen sich vor “Fotografier-Wut” kaum ein. Nun tauchten wir dort auf und stahlen dem bärtigen Mann fast die Show.  Wir wurden genauso ein Fotoobjekt wie der Santa Claus. Die Leute umringten uns und fragten uns nach Herzenslust aus. Das war so lustig. Von einer Familie bekamen wir gleich noch eine Einladung zum Abendbrot, die wir jedoch ausschlagen mussten. Schließlich hatten wir doch schon einen tollen Gastgeber.  Insgesamt verbrachten wir eine gute  Stunde im Getümmel vor der kleinen Kirche und kamen nur kurz dazu, einen Schritt hinein zu machen. 

Auf einmal tauchte jemand mit einem riesigen Mikrofon auf und wollte ein Interview mit uns aufnehmen. Dieser ortsansässige Mann hat einen eigenen Youtube-Kanal mit sehr großer Reichweite. Am Ende des Interviews sangen wir alle zusammen “We wish you a Merry Christmas”. Das war ein sehr bewegender Moment und ich spürte richtig, dass endlich Weihnachten ist. Übrigens, Sprachprobleme gab es bei diesem Weihnachtslied nicht. Der Text ist einfach weltbekannt.

Wir waren sehr überrascht, dass die meisten Besucher hier gar keine Christen waren,  sondern Hindus. Trotzdem  kommen sie jedes Jahr zu Weihnachten mit ihren Kindern in diese kleine Kapelle, weil es ein so fröhliches und stimmungsvolles Treffen ist. 

Ein Mann empfahl uns, auch bei der zweiten chistlichen Kirche der Stadt vorbei zu schauen. Gesagt, getan. Aus dem Inneren der Kirche waren schon von weitem laute und poppige Weihnachtslieder zu hören. Drinnen fielen einem dabei fast die Ohren ab. Ich glaube, dass wäre für deutsche Kirchengänger eine Nummer zu heftig. Aber Inder mögen es nun einmal sehr laut und sehr bunt. Auch hier konnten wir uns vor den Selfi-Anfragen kaum retten. 

Ein dickes Dankeschön an Jayraj, dass er uns zu diesem nächtlichen Ausflug überredet hat. Es war wirklich ein überwältigendes Weihnachtserlebnis für uns. Und für ihn war es nebenbei der erste Besuch in diesen beiden Kirchen, obwohl er schon mehr als 25 Jahre in dieser Stadt lebt. So sind wir alle auf unsere Kosten gekommen.

Nahtlose Übergabe an die nächsten Freunde

Jayraj war so besorgt über unser weiteres Wohlergehen, dass er seinen guten alten Freund Ajunbai anrief. Dieser wohnt zufällig in der Stadt Viramgam, die unser nächstes Tageszel sein sollte. Und damit waren wir auch am zweiten Weihnachtsfeiertag in einen Familienkreis aufgenommen und bestens versorgt. In der Beziehung unterschied es sich nicht von dem, was wir an den Weihnachtsfeiertagen daheim tun. 

Am Abend “entdeckte” uns eine lustige Truppe von Teenies, die ebenfalls in der Wohnanlage von Ajunbai ihr zuhause hat. Sie freuten sich unglaublich, ihr Schulenglisch an uns auszuprobieren. Auf einer großen Wiese, dem Party-Gelände der gesamten Wohnanlage versuchten sie, uns das Cricket spielen beizubringen. Das ist hier in Indien die Sportart Nummer 1. Dann kam der erlösende Ruf von Ajunbai’s Schwiegertochter “Dinner is ready”. Die Jugend hätte uns von alleine nicht freigegeben, solchen Spaß hatten sie mit uns. 

Als Nachtisch nach dem Dinner wurden noch warme geriebene Möhren mit Mandeln serviert. Das war noch einmal eine passende Geschmacksnote zum Abschluss unseres Weihnachten auf Indisch.

Auch bei Ajunbai und seiner Familie wollen wir uns ganz herzlich bedanken für ihre Gastfreundschaft. Der Abschied am nächsten Morgen fiel uns ganz schön schwer, ähnlich wie damals von Rushi und seiner Familie aus Kachholi.

Und weiter geht es …

Eine Filmsequence eines der vielen freundlichen und begeisterten Inder 🙂 Danke fürs teilen!

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