Die Weisen von Kachholi - Featurebild

Kachholi und seine weisen Männer

Wieder war der Zufall auf wunderbare Weise tätig. Es war gerade Mittag. Wir hatten schon 60 km hinter und nur noch 20 km vor uns. Die nächste Übernachtung war eben per Internet klar gemacht. Allerdings erschien erst nach der Buchung die Info “Only for Indians”. Es blieb also ein Stück Ungewissheit, ob wir das Zimmer wirklich bekommen. Die ganze Gegend von unserem Tagesziel Navsary hatte jedoch nur wenig andere Optionen. 

Alles wird gut

Das machte uns jedoch noch keine Kopfzerbrechen, als wir nun im Dorf Kachholi unter einen großen, schattigen Baum rasteten. (#Kachholi). Erfahrungsgemäß bleibt man als Ausländer nicht lange allein. So geschah es auch hier. Nur einen Augenblick später hielt ein Mopedfahrer vor uns an, ein Mann etwa Mitte 40. Er stellte sich als Rushi vor und sei ebenfalls Radfahrer.

Treff mit Rushi am schattigen Rastplatz in Kachholi
Treff mit Rushi am schattigen Rastplatz in Kachholi

Prompt wurden wir zum Essen und zur Übernachtung in sein Haus eingeladen. Das sei ganz um die Ecke.  Wir versuchten noch kurz einzuwenden, dass wir gerade eine Übernachtung gebucht hatten und diese nicht stornierbar ist. “Kein Problem, ich kann das klären”, meinte Rushi. Und auch der Einwand, wir wollten eigentlich Dandi Beach besuchen, den historischen Ort von Mahatma Gandhi’s Salzmarsch, brachte Rushi nicht von seinem Angebot ab. Diese Gedenkstätte ist nur 25 km von Kachholi entfernt und ein wunderbarer Tagesausflug per Fahrrad von hier. Also, dieser Mann wollte wirklich, dass wir seine Gäste sind und wir folgten ihm zu seinem Haus.

Rushi leitet uns zu seinem Haus

Das neue Farmhaus lag kurz hinter dem Ortsrand, idyllisch umgeben von Obstbaumplantagen. Der Empfang bei Rushi’s Familie wurde groß und herzlich. Wir fühlten uns gleich heimisch.

Ankunft an Rushi's Farmhaus
Ankunft an Rushi’s Farmhaus

Arti, die Schwägerin von Rushi, war gerade zu Besuch. Seit ein paar Jahren lebt sie in Botswana und spricht dadurch auch perfekt Englisch. In Kachholi wird Gujarati gesprochen, die Landessprache von Gujarat. Davon haben wir natürlich gar keine Ahnung. Rushi versteht zwar recht gut Englisch, aber mit Arti’s Hilfe konnten wir uns noch viel besser verständigen. 

Manche Probleme lösen sich von selbst

Wir waren noch nicht lange bei Rushi zuhause, da bekam Eddy einen Anruf von dem Portal, über das wir die heutige Unterkunft gebucht hatten. “Wenn Sie die Buchung bestätigen, drücken sie…, wenn sie die Buchung stornieren möchten, dann drücken Sie die 9”. Ein Klick und dieses Problem war gelöst. Wie von Magie gelenkt. Wir hatten sonst nie so eine Nachricht bekommen.

Rushi's früheres Haus - unser zuhause für ein paar Tage
Rushi’s früheres Haus – unser Heim für ein paar Tage

Während Arti und ich uns ausgiebig über die Schönheiten von Botswana austauschten, fuhren Rushi und Eddy per Moped zurück ins Dorf. Für unsere Übernachtung gab es gleich mehrere Optionen, die Rushi zeigen wollte. Am Ende wurden wir in Rushi’s früherem Haus einquartiert, das im Ort selbst liegt. Das wurde dann unsere gemütliche Basis für die nächsten Tage. 

Ein offenes Haus

Rushi und Falgoni haben gerade einen lieben Freund zu Gast
Rushi und Falgoni haben gerade einen lieben Freund zu Gast

Tor und Tür bei Rushi’s Familie stehen immer offen. In diesem Haus haben wir ein Kommen und Gehen von Verwandten, Freunden, Nachbarn erlebt, die sich nach dem Befinden von Rushi und seinen Angehörigen erkundigen. Sozialer Kontakt ist hier sehr wichtig.

Spezialitäten zum Sonntagsfrühstück , frisch geliefert von Jash
Spezialitäten zum Sonntagsfrühstück , frisch geliefert von Jash

Wir waren nun auch Teil der Familie von Rushi geworden. Es fing an mit der morgentlichen Frühstücks-Lieferung von Selbstgemachtem und Spezialitäten der Region.

Am freien Sonntag kutschierte uns Jash, der Sohn von Rushi, mit dem Auto durch die Gegend, um uns ein paar  Sehenswürdigkeit zu zeigen. Zuerst ging die Fahrt zu einem Damm am Ambika-Fluss, an dem 3 Flüsse der Gegend zusammen fließen. Der Damm selbst war wohl ein beliebtes Fotomotiv. Hier fand gerade wieder ein Fotoshooting für eine bevorstehende Hochzeit statt. Das wahrscheinlich gut betuchte Pärchen wurde in vielen Posen fotografiert, während fast zu ihren Füßen ein paar arme Leute ihre Wäsche wuschen. So ist Indien.

Jash zeigte uns den imposanten Andheshwar-Mahadev-Sankul-Tempel in Amalsad und den Gangeshwar-Mahadev-Tempel von Kachholi kennen, den er selbst täglich besucht. Dort fand gerade auch eine Taufe statt.

Abends wurde bei Rushi’s Familie dann reichlich und lecker gegessen. Rushi’s Frau Falgoni hatte von jedem Gericht für mich immer eine extra Portion in nicht-scharfer Ausführung bereit gehalten. Das brauchte Eddy natürlich nicht und die Familie staunte nicht schlecht.

Dabei haben wir uns über Speisen und Kochrezepte unserer Länder ausgetauscht. Arti zeigte uns, wie man aus platten Rotis diese aufgeblasenen Brote zaubert. Eddy erklärte ihr, wie er zuhause Brot bäckt. 

Gemütliche Runde am Feuer in Rushi's Garten
Gemütliche Runde am Feuer in Rushi’s Garten

Und den Abschluss des Abends verbrachten wir dann in gemütlicher Runde draußen am Feuer. Meist waren noch andere Freunde dabei. Es wurde viel gelacht und der beruhigende Anblick des wärmenden Feuers einfach genossen. So wie auch bei uns zuhause. Die Dezember-Nächte sind in Gujarat schon ganz schön frisch.

Neue Freunde – neue Ideen

Rushi macht Reisepläne für uns
Rushi macht Reisepläne für uns

Rushi platze fast vor Ideen für unsere weitere Reiseroute. Damit warf er unseren ursprünglichen Plan, nach Süden zu radeln, immer mehr über den Haufen. Es hatte ja schon bei Suryahas auf der Dschungelfarm begonnen, dass uns dessen Tipps nach Norden trieben. Wir müssten Rushi’s Meinung nach unbedingt nach Rajastan. Da führe kein Weg vorbei. Das wäre von Patan im Norden von Gujarat doch fast um die Ecke. In Patan wollten wir uns ein sogenanntes “Stepwell”-Bauwerk anschauen, ein Weltkulturerbe und Empfehlung von Suryahas. (=> Suryahas Dschungelfarm und Boisar Flyers)

Im Café "Nomads", einer grünen Oase
Am nächsten Tag im Café “Nomads” angekommen, einer grünen Oase

Für die nächste Übernachtung in Surat hatte Rushi auch schon eine Idee. Er rief fix seinen Freund und Besitzer des Cafes “Nomads” an. Das liegt in der Nähe vom Flughafen von Surat. Das Cafe hat auch ein Zimmer, wo wir schlafen könnten.

Je länger Rushi über unsere Tour nachdachte, desto mehr Ideen fielen ihm noch ein. Uns rauchte schon der Kopf. Gegen 22 Uhr verabschiedeten wir uns dann von der Familie, machten aber doch aus, morgen früh vor unserer Abreise noch einmal hier vorbeizuschauen. So fiel das Gute Nacht sagen heute nicht so schwer. Es war ja unser letzter Abend in Kachholi. Rushi begleitete uns noch auf dem Weg zu seinem alten Haus. Ein paar Meter vor dem Ziel überredete er uns, unbedingt noch ein paar Freunde von ihm kennen zu lernen. Es sollte nur ein  paar Minuten dauern. Aus diesen paar Minuten wurden 2 unvergessliche Stunden.

Die weisen Männer von Kachholi

So was muss man mal erlebt haben. Eine Kreuzung weiter stand ein Wohnhaus und auf dessen Treppenstufen saßen 6 Freunde von Rushi, darunter 2 Cousins von ihm. Und diese weisen Männer von Kachholi treffen sich hier jeden Abend für etwa 2 Stunden, um die neuesten Neuigkeiten untereinander auszutauschen. Dabei wird auch viel über das große Weltgeschehen philosophiert. Ein Cousin von Rushi und recht aktiver Part dieser Runde sprach sehr gut Englisch. Dadurch bekamen wir ziemlich viel mit. Unter anderem haben wir erfahren, dass die Hindus nicht den Druck haben, besonders viele Kinder zu bekommen. Alle in der Runde hatten ein oder zwei Kinder, bis auf einen Mann. Der bekam das zweite Kind gleich in doppelter Ausführung. Die beiden Zwillingsschwestern studieren gerade in Frankfurt am Main. Der stolze Papa hat natürlich gleich eine Telefonverbindung hergestellt und wir haben mit den Mädchen ein paar Worte gewechselt. 

Jeder der Männer hatte mindestens einen Verwandten, der im westlichen Ausland lebt. Das ist ihre Verbindung zur weiten Welt. Dafür brauchen sie ihre kleine Stadt nicht zu verlassen, sondern genießen es voll und ganz, sich von Ferne ihre Gedanken über das große Weltgeschehen  zu machen. Sie nutzen ihren gesunden Menschenverstand und heraus kommen tiefgründige Erkenntnisse. Dabei genießen sie ihr Leben hier und diese nächtlichen Männergespräche aus vollen Zügen. Wir haben selten so zufriedene Menschen gesehen. 

Die weisen Männer von Kachholi können auch vortrefflich über sich selbst lachen. Nach ihren Worten sind Inder furchtbar neugierig. Stellt sich zum Beispiel ein Inder irgendwo hin und guckt nach oben, dann ist er im Nu von anderen umringt, die ebenfalls nach oben schauen. Die wollen nämlich wissen, wonach der eine so schaut. Es gibt eine Art Wettstreit unter ihnen , welche zugehörige Ehefrau zuerst anruft und fragt, wann denn “der Alte” nach Hause kommt. Der “Sieger” muss dann viel Spott vertragen. 

Kurz vor Mitternacht löste sich die Runde der Männer wieder auf. Einige von ihnen mussten am nächsten Morgen früh raus zur Arbeit und einige waren auch schon Rentner. Morgen Abend werden sich alle hier auf der Treppe wiedersehen und von neuem schwatzen und philosophieren. Dann sind wir leider nicht mehr dabei…

Abschiedsfoto mit Arti, Jash, Falgoni und Rushi
Abschiedsfoto mit Arti, Jash, Falgoni und Rushi

6 Antworten zu „Kachholi und seine weisen Männer“

  1. Billy

    Schön, dass Ihr diese positiven Begegnungen habt!

    1. Wir haben offensichtlich einen Engel, der über uns wacht

  2. Gertrud

    Bemerkenswert – diese Gastfreundschaft. Ich bin sehr beeindruckt und wünsche Euch noch viele tolle Begegnungen.
    Weiterhin gute Fahrt und liebe Grüße aus dem regnerischen Berlin
    Eure Gertrud

    1. Danke Gertrud. Wir wünschen dir eine weiße Weihnacht, dann regnet es auch nicht mehr 😉
      Wir haben hier keine Niederschläge und die Temperaturen sind konstant warm zwischen 25 und 32 Grad Celsius, also ideal für unsere Fahrradreise. Wir werden dich weiter auf dem Laufenden halten! Liebe Grüße Ute und Eddy

  3. Rakesh naik

    Very nicely explained kachholi and Rushis & Rushis family.
    Wishing you great days n good experience in India..
    Hopefully you will go home with good memories, experience of India and Indian
    people…

    1. Thank you very much. We had so many nice experiences already and every day some new remarkable moments come.
      Today we reached a very quiet and green farmhouse near the Gir National Park close to the lions. The warm welcome was like coming home after a long time 🙂

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