Danke für das Beschützer-Armband von einem blinden jainistischen Mönch

Bekanntschaft mit dem Jainismus

Der indische Bundesstaat Gujarat ist voll von bedeutenden Orten des Jainismus. Von dieser Religion hatten wir noch nie zuvor gehört. Da wir ständig Empfehlungen bekamen, welche spirituellen Orte  wir auf keinen Fall verpassen dürfen, wurden wir neugierig. Die erste Jaintempel-Anlage, die wir auf unserer Fahrradreise durch Gujarat erreichten, liegt auf der Halbinsel Kathiawar, direkt über der Stadt Palitana.

Das Pilgerzentrum Palitana

Die kleine Stadt Palitana ist ein berühmter Pilgerort für die Anhänger des Jainismus. Der Grund dafür ist die gewaltig große Jaintempel-Anlage hoch oben auf den Gipfeln der Shatrunjaya-Berge. Da kann man sich schon allein von der imposanten Lage her vorstellen, dass dies eine der heiligsten Stätten für die Gläubigen ist.

Kleine Einführung aus erster Hand

Da wir als völlig Unwissende hier ankamen, gab uns ein Mönch erst einmal eine kleine Einführung in seine Religion. Dieser Mönch, Gurudev Bhagyachandra Vijayji war nebenbei auch der Besitzer unseres Hotels. Er hatte sogar seinen eigenen Tempel direkt am Hotel. Sehr praktisch. Von ihm haben folgendes gelernt:

Erste Jain-Einführung durch unseren Mönch und Hotelbesitzer
Erste Jainismus-Einführung durch Gurudev Bhagyachandra Vijayji

Die Gläubigen des Jainismus, die Jains, dürfen keinerlei Lebewesen verletzen oder töten, auch kleinste Kreaturen nicht. Ihre Mahlzeiten dürfen sie nur zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang einnehmen.
Jainistische Mönche und Nonnen haben eine ganze Reihe zusätzlicher Restiktionen zu befolgen. Besonders bemerkenswert fanden wir, dass sie keine Scheren oder Messer benutzen dürfen, um sich die Haare oder den Bart zu schneiden. Und was machen sie stattdessen? Sie lassen sich in regelmäßigen Abständen die Haare von Hand ausreißen. Nach einer Weile sei das gar nicht mehr so schmerzhaft, erklärte uns unser Mönch. Natürlich ist dieses Detail nicht das Wesentliche an dieser Religion. Das erfährt man an anderer Stelle sicher kompetenter, zum Beispiel hier => Jaintempel

Kurz nachdem wir das Hotel verlassen haben, wird sich Gurudev Bhagyachandra Vijayji wieder auf seinen Fußmarsch nach Mumbai begeben. Für die 700 km braucht er nur 26 Tage. Diese Wanderung macht er regelmäßig mehrfach im Jahr. Überhaupt sind jainistische Mönche und Nonnen viel auf Wanderschaft.

Ohne Fleiß kein Preis

Für den Besuch der heiligen Tempel von Palitana muss man einige Strapazen auf sich nehmen. 3500 Stufen wollen bestiegen werden, um die Tempelstadt auf ca. 550m Höhe zu erreichen. Die Shatrunjaya-Berge ragen weit aus dem sonst flachen Umland heraus. Wenn die Sonne erst einmal ihre volle Kraft entfaltet, kann der Aufstieg eine sehr schweißtreibende Angelegenheit werden. Aus diesem Grunde starten die meisten Besucher noch vor Sonnenaufgang und wir haben es ihnen gleich getan.

Zwei Stunden Treppensteigen, Ausblicke in das erwachende Umland genießen und viele Fragen der interessierten mitlaufenden Besucher beantworten. Europäer kommen selten hier hin. Deshalb ist es nur verständlich, dass die Menschen neugierig waren, was uns hierher geführt hat. 

Und plötzlich ist man dann ganz oben und steht vor den gewaltigen Mauern, die das Ganze wie eine große Festung erscheinen lassen. Jeder der schlank und hoch aufragenden Tempeltürmchen ist von außen vollständig mit unzähligen Schnitzereien verziert. Wir beobachteten die mühsame Abeit der Rekonstrukteure, alleine recht einfache Linien in den harten Stein zu fräsen. Wie anstrengend muss es erst gewesen sein, diese tausenden von Muster und Skulpturen in den Stein zu schneiden? Immerhin waren einige dieser Tempel schon etwa 900 Jahre alt.

Der Schatz der Tempelstadt von Palitana

Während wir uns bei unserem Rundgang auf die Details der Gebäude konzentrierten, hatten die Gläubigen hier oben ein ganz anderes Ziel. Unser Mönch erklärte es uns wie folgt. Es gibt im Jainismus 24 Götter für die Gegenwart, 24 für die Vergangenheit und 24 für die Zukunft. In dieser Tempelanlage auf dem Shatrunjaya-Bergen steht nun mal der erste  und wichtigste der 24 gegenwärtigen Götter.  Der Innenhof eines Tempels war besonders mit Menschen gefüllt, die entweder auf dem Fußboden saßen oder in langen Schlangen rund um einen großen Tempel anstanden. Wahrscheinlich  befand sich  genau hier dieser wichtigste Gott der Gegenwart.

Alternative Aufstiegshilfen

Am Haupteingang und Beginn der 3500 Stufen warten zahlreiche Träger, die ihre Kundschaft in Sänften hochschleppen wollen. Eine ganz schöne Plackerei, wenn oft auch alte Männer eine recht beleibte Person nach oben wuchten. Die Preisangaben schwankten zwischen 1000 und 4000 Rupien. Ein Hungerlohn für diese Schinderei, zumal es dann noch durch die Anzahl der Träger geteilt werden muss. 

Selbst laufen und getragen werden zur Shatrunjaya-Tempelstadt
Selbst laufen oder getragen werden zur Shatrunjaya-Tempelstadt

Der Rückweg ist oft beschwerlicher

Also, die 3500 Stufen abwärts zu gehen, das kam uns um ein Vielfaches anstrengender vor. Lange Passagen hatten sehr breite Stufen. Beim Aufstieg fanden wir das gar nicht so störend. Doch beim Abstieg war dieses Treppenmaß so, dass es für einen Schritt zu lang und für 2 Schritte zu kurz war. Das ging ganz schön über die Knie. Wir waren froh, am späten Vormittag schon auf dem Rückweg zu sein, denn die Sonne hatte jetzt deutlich an Kraft zugelegt. 

Kleine Tempelgeschichte

Auf dem Rückweg erzählte uns ein älterer Mann, dass er in jungen Jahren zweimal täglich 90 Tage hintereinander den Berg hoch und runter gelaufen ist. Nun schafft er es wegen eines Herzinfarktes nicht mehr und hat sich ein Stück tragen lassen. Seine kürzlich verstorbene Mama hatte sich gewünscht, dass die ganze Familie noch einmal gemeinsam zum Tempelberg kommt. Heute erfüllte die 40-köpfige Familie aus Mumbai diesen Wunsch.

Im Schatten des großen Shatrunjaya-Tempels

Etwa 25 km entfernt vom Shatrunjaya-Berg befindet sich ein weiterer markanter Berggipel, auf dem ein weiterer Jain-Tempelkomplex steht. Hastagiri Jain Tirth Tempel. Es ist hier im Umfeld wohl die zweitgrößte Tempel-Anlage. Die Anzahl der Besucher hier war mehr als ūberschaubar. Das Los des Zweitplatzierten.

Eine mehr oder weniger löchrige Schotterstraße windet sich in annehmbarer Steigung 400 Meter aufwärts. Mit dem Fahrrad war dies ganz gut zu erreichen. Bei unserem Besuch gab es sogar etwas Fernsicht. Wir konnten tatsächlich den Shatrunjaya-Berg mit der Tempelanlage von weitem erkennen. 

Oben angekommen sahen wir viele einzelne Marmorteile herumliegen, als hätte jemand das LEGO-Haus noch nicht beendet. Die Tempelanlage war tatsächlich noch nicht fertig. Aber das Innere schien schon komplett zu sein. Ein Mönch zeigte uns, wie man genau vor der einen zentralen Götterstatue betet:
1. Räucherkerzenschale im Uhrzeigersinn vor der Gottheit schwenken
2. Öllampe im Uhrzeigersinn schwenken
3.. Glocke bimmeln. 
Dafür gibt es dann einen orangenen Strich auf die Stirn. 

Danach sind wir dann innerhalb der Tempelmauern eine ganze Runde an allen 72 Jain-Gottheiten vorbei gelaufen. Leider konnten wir selbst nur wenige markante Unterschiede entdecken. Dafür haben wir bei diesem Rundgang die eigentümlichen hinduistischen Zahlen gelernt, da jeder Gott seine eigene Nummer von 1 bis 72 bekommen hat.

Übrigens…

… haben wir von unserem Mönch auch die ersten beiden Worte auf Gujarati gelernt.
“Kem Chho Maja Maa?” bedeutet “Wie geht es dir?”
“Tamaaro aabhar” heißt “Dankeschön”.
Diese konnten wir schon super gebrauchen.

Jainistischer Mönch und Hotel-Besitzer aus Palitana
Jain-Mönch Gurudev Bhagyachandra Vijayji aus Palitana

Eine Antwort zu „Bekanntschaft mit dem Jainismus“

  1. Petra und Thomas

    Hallo Ihr beiden
    Wir wünschen Euch erstmal ein gesundes neues Jahr.
    Haben auch Eure Berichte ausgiebig gelesen.
    Wir wünschen Euch eine gute Weiterreise und bleibt gesund.
    Viele Grüße von Petra und Thomas !

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