Nach 12 Wochen auf Tour ziehen wir mal eine persönliche Zwischenbilanz, wie gut das Radreisen auf Indien’s Wegen funktioniert und was wir dabei erleben durften.
Zu Beginn das Allerwichtigste
Das Reisen mit dem Fahrrad ist und bleibt für uns eine geniale Fortbewegung, auch in Indien. Wir sind immer an der frischen Luft, kommen ständig mit den Leuten in Kontakt und werden ganz nebenbei ein paar überflüssige Pfunde los.



Durch den indischen Straßenverkehr
Wenn es irgendwie geht, sind wir auf den kleinen Landstraßen unterwegs. Aber vor den großen Highways oder dem wuseligen Stadtverkehr muss man sich nicht fürchten. Immer schön die Ruhe bewahren und fahren, wie man will. So machen es die anderen auch und das funktioniert erstaunlich gut. Die Fahrzeuge sind hier in Indien meist viel langsamer unterwegs als in Europa. Und sie bestehen auch nicht auf ihre eventuelle Vorfahrt.
Was die Hupe hergibt…
Was allerdings schwer zu ertragen ist, das sind diese grauenvollen Hup-Konzerte auf der Straße. Jeder will den anderen anzeigen, dass er da ist und jetzt vorbeifahren will. Wenn aber alle hupen, bewirkt es gar nichts. Es ist nur unerträglich laut und nervig.

Da können in einem schon mal Aggressionen wach werden. Eddy hat sich aus Wut eine Gummiball-Hupe zugelegt, die er fortan als Antwort und Gegenwehr einsetzt. Die Wirkung ist sehr bescheiden und animiert die Inder eher, selbst mal zu drücken.


Freud und Leid auf den kleinen Landstraßen
Auf den kleinen Landstraßen ist der Lärmpegel angenehm niedrig. Hier können wir endlich die Natur links und rechts des Weges genießen. Das ist Radreisen von seiner schönsten Seite.






Auch 3 Monate nach der Regenzeit gibt es noch ziemlich viele wasserführende Flüsse und Teiche. Dort sammeln sich dann die verschiedensten Vögel und andere Tiere.












Dabei müssen wir aber immer mit einem Auge aufmerksam nach vorne schauen. Die zahlreichen Schlaglöcher, Querrinnen und “Speed Breaker” lauern überall und sind selten vorher angezeigt. Ein paar mal sind unsere Fahrradtaschen wegen Bodenwellen schon vom Gepäckträger abgeflogen. Da waren wir wohl zu schnell . Allzu oft machen das die Taschen nicht mit. Im Dunkeln sieht man die Hindernisse fast gar nicht. Deshalb lassen wir Nachtfahrten einfach sein.

Durch das viele Bremsen kommt man natürlich recht langsam voran. Die hohen Bodenwellen gibt es mindestens an jedem Ortseingang, vor jeder Schule, an jeder Kreuzung. Innerhalb der Dörfer sind die Wege eine Katastrophe. Der Asphalt hört meist am Ortseingang auf oder ist nur noch in Fragmenten vorhanden. Stattdessen rollt man durch Sand und Modder. Wenn die Straße wieder in Ordnung ist weiß man jedoch, hier ist das Dorf nun zu Ende.
Oft begegnet uns das liebe Vieh auf den Landstraßen. Immer wieder erstaunlich, wie die Tiere die Ruhe weghaben. Sie wissen wohl, dass sie so viel Masse haben und deshalb alle anderen einen großen Bogen um sie machen.



Wenn unser Navi eine Strecke durch das Hinterland vorschlägt, dann kann das auch schon mal ein Reinfall werden. Wir landeten dabei schon im Tiefsand, auf Geröll-Wegen, in überfluteten Feldern und natürlich in Sackgassen. Doch in der Mehrzahl hatten wir Glück, dass unsere Räder heil blieben und wir die Strecke genießen konnten.

Unsere Erlebnisse auf den Highways
Was ist gut an den indischen Highways? Es gibt meist einen breiten Randstreifen, auf dem es sich sicher radelt. Bei einem gut ausgebauten Highway kommt man natürlich viel schneller voran als auf den Landstraßen. So schafften wir zum Beispiel die 106 km lange Strecke von Pindwara nach Udaipur mit einem Aufstieg von über 1000m über den Highway 27 an einem Tag.


Indien ist jedoch mit Hochdruck dabei, sein Straßennetz auszubauen. Dafür werden über zig Kilometer die Highways eine Etage nach oben verlegt. Baustellen so weit man schaut, bei laufendem Verkehr. Die Fahrbahnen werden auf zwei Spuren reduziert. Mittendrin die Baufahrzeuge, löchriger Straßenrand, Krach, Baustaub und einfach viel Verkehr.
Die Fahrbahnen sind oft mit Betonmauern voneinander getrennt. Überfahrten für den querenden Verkehr sind oft sehr selten. Daher sind viele Fahrzeuge als “Geisterfahrer” auf der Gegenfahrbahn bis zu nächsten Übergang unterwegs. Diese Fahrweise wird sogar mit Fahrschülern geübt. Das Gute daran ist, dass man ständig mit entgegenkommenden Fahrzeugen rechnet. So nimmt auch jeder darauf Rücksicht, auch wenn die Benutzung der falschen Seite nur aus Faulheit geschieht. Zum Glück sind Raser recht selten.
Unser Motto : überall hin aus eigener Kraft
Am Radreisen fasziniert uns besonders, dass wir aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe fast überall hin gelangen können. Das gilt auch für Indien. Es genügt schon ein kleiner Trampelpfad, wo man mit dem Fahrrad durchkommt.

Irgendwo im Nirgendwo
Solch einen kleinen Trampelpfad haben wir zum Beispiel außerhalb der Grenzen des Gir-Nationalparks gefunden und konnten so frei lebende Krokodile beim Sonnenbad am Fluss beobachten. Der Eintritt in den Nationalpark selbst hätte einen dreistelligen Euro-Betrag für uns als Ausländer gekostet.


Durch das Gewimmel der Städte
In den Städten kommt uns die Mobilität mit dem Fahrrad ebenfalls zugute. Wir brauchen uns bei der Stadtbesichtigung weder um öffentliche Verkehrsmittel, Tickets, noch um private Mitfahrgelegenheiten zu kümmern. Durch verstopfte Straßen kommen wir mit dem Fahrrad meist schneller als alle anderen Verkehrsteilnehmer voran und unsere Einkäufe schleppt dann unser “Drahtesel” und nicht wir.



Von typischen und besonderen indischen Radlern
Das Langstrecken-Radreisen ist in Indien kaum verbreitet. Wir haben trotzdem indische Radfahrer getroffen. Sie sind meist in regionalen Clubs mit Gleichgesinnten organisiert, wie z.B. die Boisar-Flyers oder dem Anand Cycling Club. Diese Clubs organisieren regelmäßig Gruppenfahrten an den Wochenenden.
Bei den indischen Radfahrern ist auch eine andere Variante populär. Es geht dabei darum, auf einer kurzen Rundstrecke in schnellstmöglicher Zeit 100 Kilometer zu schaffen. Solche Radfahr-Events sind bei den Boisar- Flyers sehr beliebt und die junge Frau Sarita ( oben links) ist eine der Besten in ihrem Club.


Santosh aus Vadodara ist eher der Tagestouren-Radler. Sonntags steht bei ihm und seinen Freunden immer eine etwa 60 km lange Fahrrad-Tour auf dem Pogramm. Leider waren wir nicht an einem Sonntag bei ihm. Totzdem verbrachten wir mit ihm zwei unvergessliche Tage.

Ein ganz besonderer indischer Radler
Auf einem stark befahrenen Highway überholten wir einen Mann, der sein schwer beladenes Fahrrad schob, statt damit zu radeln. Er war darin so schnell, dass er uns wieder einholte, als wir an einer Tankstelle Pause machten. Funktionstüchtig war sein Fahrrad schon lange nicht mehr, aber als Lastenesel noch geeignet. Anend – so heißt er – gab uns einen Einblick in sein wundersames Fahrzeug. Er hatte zusätzliche Stahlstangen angebracht, an dem alles mögliche Gepäck baumelte.


Anend ist so schon mehrere Jahre auf Reisen. Und was er für Gewichte mit sich rumschleppt, das hat uns fasziniert. Aus einer Ecke seines beladenen Fahrrads zauberte er einen Skizzenblock heraus. Anend malt gerne Vögel und Portraits. Doch diese Bilder entstehen nicht von echten Objekten. Er malt sie von Zeitungsausschnitten ab, die er ebenfalls zuhauf mit sich führt. In einer anderen Tüte steckte eine große Plastedose mit Cashew-Kernen, die er mit kleinen Malereien verziert hatte. Als nächstes erschien ein dickes Buch aus seinem Gepäck, “Die Vögel von Indien”. Wenn wir nicht doch mal zum Aufbruch angesetzt hätten, hätte Anend wohl sein ganzes Gepäck vor uns ausgebreitet. Aber es war kurz vor 16 Uhr und wir mussten weiter und eine Bleibe für die Nacht finden. Keine Ahnung, wo Anend die Nacht geschlafen hat.




Unser Alltagskontakt mit den Leuten
Es ist schon eine Seltenheit, wenn wir ein paar Kilometer alleine radeln, ohne von überholenden Mopedfahrern ausgefragt zu werden. “Country?” ist die Frage Nummer 1. In Gesten ausgedrückt läuft das etwa so ab: mit der Hand nach vorne zeigen und eine Drehbewegung vollziehen. Bei der 2.Frage nennen wir einfach unser aktuelles Reiseziel und die Befrager nicken zufrieden. “How is India?” kommt dann als 3.Frage . Wenn wir mit “Great” antworten, strahlen sie immer von einer Backe zur anderen. Mit “Welcome to India” ist die typische Fragerunde beendet und sie düsen weiter. … Der nächste lässt dann nicht lange auf sich warten.



Die Selfi-Manie
Es gibt in Indien das ausgeprägte Phenomen, dass die Leute sich mit uns fotografieren lassen wollen. Wenn wir gerade irgendwo stehen, dann ist das kein Problem. Aber wenn wir dazu andauernd stoppen müssen, noch dazu in brütender Hitze, dann vergeht uns der Spaß daran. Wir haben bei dieser indischen “Selfi-Manie” sehr nette und sehr nervige Begegnungen gehabt.



So machten wir z.B. nach einem anstrengenden Aufstieg auf einem Parkplatz kurz zum Verschnaufen Halt. Denkste. Ein Reisebus hielt neben uns an, mit lauter lustigen Damen an Bord. Jede von ihnen wollte unbedingt einzeln ein Foto mit mir machen. Hinweg war die schöne Pause. Nach den fast 50 Bildern drängte die Zeit bis zum Dunkelwerden und wir mussten weiter.
Volksauflauf in Sekunden erzeugen
Wir kommen uns manchmal vor, als wenn die Inder noch nie ausländische Radfahrer gesehen haben. Im Nu sind wir von Massen an Leuten umringt, wo vorher gerade noch ein leerer Platz war.



Nette Gesten der Gastfreundschaft
Dass die Inder sehr spontan Reisende bei sich aufnehmen, das haben wir jetzt schon mehrfach erleben dürfen. Doch uns sind auch viele kleine und rührende Gesten der Gastfreundschaft auf unserer Radreise durch Indien widerfahren.
Wir machten in einem Dorf vor einem Grundstück Pause, weil dort eine gute Sitzgelegenheit war. Nach wenigen Minuten standen 3 Dorfbewohner neben uns, die leider kein Englisch verstanden. Der eine davon wohnte im Haus dahinter und kam kurz darauf mit heißem Tee wieder. Den servierte er uns dann auf Untertassen. Ja, das geht. Und der Tee schmeckte herrlich nach Honig und Ingwer.
Ein anderes Mal reichte uns ein Mopedfahrer beim Fahren einen Geldschein rüber. Es dauerte lange, ehe wir ihn überzeugen konnten, dass er ihn wieder einsteckt. Er braucht das Geld bestimmt dringender als wir.
Demnächst
Natürlich bekommen wir auf der Straße eine Menge über die Lebensbedingungen der einfachen Leute mit. Doch darüber wollen wir demnächst mal gesondert erzählen.

4 Antworten zu „Radreisen auf Indien’s Wegen – Freud und Leid“
Ihr liebenswerten Radler, Fotografen sowie “Journalisten”.Ich habe mit viel Freude und Interesse eure lange zusammenfassende Berichterstattung gelesen und finde es großartig, was und wie ihr diesen “Kontinent” erlebt und uns teilhaben lasst.
Wir erleben hier gerade einen zünftigen Kurzwinter, was uns aber sehr erfreut. Endlich ein Wetter mit Charakter(wie früher?)
Und wir beide sind immer noch mit Billys Text-Endfassung beschäftigt. Und er mit uns. So haben wir ihn noch ein Weilchen wenigstens in Gedanken-und Schreibverbindung.
Alles hat seine Zeit.
Da die unsere bald(??)abläuft, können wir auch keine großen Reisen mehr planen. Ich beneide euch beide um eure Welttouren, aber gönne sie euch von Herzen. LG eure Freunde K.undCh. aus StrausbergLiebe Christel,
es freut uns sehr, dass euch unsere Erfahrungen im fernen Indien interessieren und ihr sie mit Spaß gelesen habt.
Das ist ja auch genau unser Anliegen mit den Blogs, die interessierten Menschen in Gedanken auf unsere Tour “mitzunehmen” als wären sie selbst dabei. So wie ihr werden auch unsere Eltern sich solche weite Reise nicht mehr zumuten, aber trotzdem haben sie und ihr die Neugier auf andere Kulturen nicht verloren. Das ist sehr schön. Dann versuchen wir, euch auch weiterhin auf diesem Wege auf dem Laufenden zu halten. Und am Ende der Reise gibt es dann die große Zusammenfassung aller Erlebnisse als Video. Bei der Uraufführung seid ihr hoffentlich dabei. Bis dahin genießt die schöne Winterlandschaft im Brandenburgischen Lande.
Seid herzlich gegrüßt von
Eddy und Ute
Ihr Lieben, mit Genuss und Begeisterung habe ich Eure Fotos betrachtet und den Text gelesen. Danke
Toll, was Ihr alles erlebt und gesehen habt. Weiterhin gute Fahrt mit netten Begegnungen. ♀️
Liebe Grüße aus dem eiskalten Berlin mit Schnee und Eis, was aber auch seine reizvollen Seiten hat……
GertrudLiebe Gertrud,
Wir haben das Gefühl, dass jedes Grad Celsius von Berlin hier in Indien ankommt. Wir haben jetzt bis 37 Grad am Tage. Ab 13 Uhr macht es nicht mehr wirklich Spaß. Deshalb klingelt der Wecker jetzt spätestens um 5 Uhr, so dass wir zwischen 7 und 8 Uhr losradeln können. Am Anfang kann man sogar noch eine leichte Jacke anziehen. Jede Stunde kommen dann 5 Grad Celsius dazu…
Liebe Grüße
Ute und Eddy
Schreibe einen Kommentar